Appalachian Trail
Der Empfang der Familie Shiman in Boston ist wirklich klasse. Vom Flughafen nach Hause fahren, dort in den Pool des Nachbarn springen und anschließend gab es für 7 von uns Matratzen - mir blieb die Isomatte, aber dafür habe ich jetzt schon wieder 3 Nächte Rückstand und kann bei evtl. Gelegenheiten immer als erster wählen. Die ersten Tage sind eine wunderbare Mischung aus Vorbereitung, Eingewöhnung ins Land und Urlaub. Den Pool suchen wir oft auf, außerdem kaufen wir das erste Mal Lebensmittel für unser Mittagessen unterwegs und Barzi und Konsti bereiten aus Haferflocken, Rosinen, Kokosflocken, Mandelsplittern, Sonnenblumenkernen, Butter, Salz und Zucker dann unser erstes Crunchy auf dem Herd. Außerdem schicken wir uns Sachen im Abstand von 2 bis 3 Wochen zu, mal warme Kleidung, immer Hefe und Filme - AG und David kümmern sich um den Versand und es ist schon eine gute Vorbereitung, unseren ungefähren Aufenthalt unterwegs einzuschätzen (ich habe natürlich die wichtigen Infos schon vorbereitet, denn sonst wäre es eine Überforderung geworden).

Mit zwei Autos und den Eltern Leon und Laura sowie den Kindern Jeremy, Abigail und Isaac fahren wir nach Cape Cod, einem berühmten Urlaubsgebiet im Südwesten von Massachussets. Freunde der Familie überlassen uns ihre kleine Wohnung in Woods Hole, einem der größten Forschungsorte im Bereich von Ozeanographie. Das Verhältnis "unserer beiden Familien" ist einfach wunderbar und die Kinder und Schüler unterhalten sich gut. Im Atlantik Frisbee spielend oder abends die Mole entlang schlendernd geht das natürlich auch hervorragend. Am nächsten Morgen sind wir schon um 7 Uhr auf der Fähre zur Insel Martha's Vineyard. Nach einem Frühstück während der 45-minütigen Überfahrt, Taxi und 3 Fahrten in einem Dingy befinden wir uns alle auf dem 30 Jahre alten, 27 Fuß (ca. 9 Meter) langen Segelboot von Francis, einem weiteren Sohn von Leon. Es ist eng, macht aber viel Spaß und die Brise auf dem Wasser tut zudem sehr gut. Von Bluffs Oak nach Edgartown bewundern wir beim Segeln schon einzelne Yachten und Motorboote, im Hafen ist es dann noch weitaus heftiger. Die Insel ist ein beliebtes Sommerziel für viele Leute mit passendem Kleingeld, inklusive Präsidenten…..man kann sich also vielleicht vorstellen, was wir sehen und welchen Anblick wir dazu im Vergleich abgeben…..ist richtig spannend für einige Stunden und rundet den tollen Atlantikkurzurlaub ab.

Tags darauf, am Sonntag, wird der Ruf des AT dann überlaut. Unsere unglaublichen Gastgeber fahren uns sogar noch mit Kind und Kegel bis nach Hanover, New Hampshire, unserem Anfangspunkt! Der Abschied kommt viel zu früh. Aber dann müssen wir uns nach einer Unterkunft umsehen und erfahren, dass weder die örtliche Uni noch Studentenverbindungen Wanderern Unterkunft geben. Es gab ein paar Vorfälle (Alkohol und Diebstahl). Wir fragen dann privat und werden an die Panarchy Verbindung verwiesen, die dann tatsächlich für uns eine Ausnahme machen! Der anschließende Einkauf kann sich sehen lassen, schließlich müssen wir uns mit Essen für 4 Tage eindecken. Der nächste Supermarkt ist zwar nur knapp 40 km AT entfernt, aber ich will am Anfang lieber für einen zusätzlichen Tag Verpflegung dabei haben. Außerdem darf man den AT nicht unterschätzen, er ist beispielsweise von der Schwierigkeit überhaupt nicht mit dem Jakobsweg (Camino Frances) zu vergleichen.

Morgens um 8 Uhr 45 geht es dann los. Früher ist nicht machbar, denn alle haben bis zu diesem Zeitpunkt (wie von mir den Eltern versprochen) einen Brief/Postkarte geschrieben und wir haben noch keine Briefmarken. Dann geht es los, ein paar Kilometer (der gesamte Weg von ca. 3.500km hat nur 1% Asphalt!) Straße und dann ab in die Berge und auf kleine Pfade. Es dauerte nicht lange, da begegnet uns das erste Mal "Trail Magic" - in Form einer Kühlbox, in der einige Dosen Coke und Sprite für Wanderer hinterlegt sind. Dankbar teilen wir uns 3 Dosen, lassen 4 übrig und schreiben einen Zettel.

Die drei Jungs im Alter von 14 und 15 (alle jünger als jemals zuvor) beginnen gleich erstmal mit einem Wettkampf - wer kann am schnellsten wandern und keine Schwäche zeigen? - der sich in langsam mildernder Form über mehrere Tage hinzieht. So etwas habe ich auf meinen Fahrten noch nicht erlebt - wie auch ein paar andere Dinge nicht, aber über manches kann ich einfach lächeln, ein paar andere Sachen werden umgewandelt werden!

Die Mädchen machen sich teils mit mir entspannt auf den Weg oder beteiligen sich auch mal am Schnellgang. Bei den Mädchen legt sich das allerdings im Laufe der ersten Tage komplett. Andererseits ist es hinten erst recht gemächlich, weil Phine sich aufgrund einer Krankheit nicht richtig vorbereiten konnte und dementsprechend langsam anfangen muss. Aber so etwas kenne ich bereits von den Radtouren, so dass ich mich in den ersten Tagen immer hauptsächlich um das Ende der Gruppe kümmere. Vorne ist der Abstand am ersten Tag noch Hörweite (Finger pfeifen) und steigert sich dann langsam zu einer eigenständigen Gruppe, nachdem ich mich von den benötigten Fähigkeiten überzeugen kann.

Abend übernachten wir bisher immer an Schutzhütten, sog. "shelters", denn wild zelten ist in manchen Bereichen nicht erlaubt, mit einer so großen Gruppe schwierig und außerdem ist es schön, mit anderen Wanderern ins Gespräch zu kommen, Wasser in der Nähe, eine Feuerstelle vor der Nase zu haben und für manche von uns ein Dach über dem Kopf (eine Seite offen). Mein Mückenzelt leistet mir da beste Dienste, denn es gibt zwar nicht so viele Mücken, wie ich es erwartet/befürchtet habe, aber trotzdem noch reichliche Mengen - in einer 10min Pause kann man schon mal ein Dutzend erschlagen; und außerdem bewundern wir manche Buddhisten, die noch nicht einmal Mücken töten!

Essen ist bei so einer Wanderung natürlich sehr wichtig und da die meisten Wanderer allein oder zu zweit unterwegs sind, sieht man reichlich einfache Fertiggerichte. In vielen Tagebüchern kann man dann im Internet lesen, wie unermesslich der Appetit dann bei den gelegentlichen Verpflegungsstädtchen ist. Wir haben als Gruppe einige Nachteile, können aber auch leichter Nahrungsmittel in der passenden Menge kaufen (vor allem große Mengen) und außerdem trägt zwar jeder im Schnitt ein halbes Kilo an Kochausrüstung, Gewürzen etc., aber dafür essen wir sehr gut. Morgens gibt meist Müsli mit Milchpulver, mittags Crunchy und bei Gelegenheit (wenn mal ein kleiner Laden in der Nähe ist) eine Brotzeit. Abends schlagen wir dann richtig zu: MC-Mix (Basmati-Reis mit Gemüse und Sojasoße; Macaronis mit selbstgemachter Kapernsoße (alle Soßen werden selbst gemacht), Spaghettis mit Tomaten-Zwiebelsoße, Suppe mit selbst gebackenem Brot, Linseneintopf, Steaks mit Gemüse, Milchreis mit Apfelmus und Dosenfrüchten - so lautet unser Speiseplan der letzten Tage, wobei es den Milchreis heute gibt, am Ruhetag, weil das Gewicht sonst zu groß wäre.

Ja, der Trail, ein fast ständiges auf und ab - er ist bewusst auch nicht auf einfach gemacht, viel, viel Wald (der grüne Tunnel), Bäche und ein gelegentlicher See, in denen wir uns mit wachsendem Wohlbehagen abkühlen und waschen. Das Wetter ist uns sehr freundlich gesonnen, sonnig, Höchsttemperaturen bis 30 Grad, die im Schatten des Waldes und durch die Verdunstungskühle gar nicht so schlimm sind. Sophie beispielsweise zeigt sich nach ein paar Tagen letztendlich sehr erfreut über die große Herausforderung, die trotz aller Schwierigkeiten zu vielen, neuen Erfahrungen führt. Franzi geht richtig in der Wildnis auf, setzt sich auch direkt nach dem Aufstehen ohne Probleme in einen kalten Gebirgsbach, Phine wird von Tag zu Tag kräftiger und genießt den Trail, AG ist sehr gut unterwegs und lernt auch langsam die Vorteile eines entspannten Tempos zu schätzen. David sorgt für gute Laune, wenn er beispielsweise auf meine Frage: "David, kommst du bitte mal grade?!" antwortet : "Wer, ich ?" Barzi kocht mit Freude, wenn er die Kraft dazu hat und Konsti ist bei allem dabei und trotzdem bemüht, in Ruhe "chillen" zu können.

Ich könnte noch viel über die verschiedenen Wanderer schreiben, überhaupt nach 5 Tagen auf dem Trail schon Seiten füllen, aber es fehlt dazu Zeit und Raum. Wir sind in den ersten 5 Tagen stolze 75 km gewandert, damit an der Obergrenze dessen, was ich noch gut heiße, denn zu viele Wanderer gehen den AT mit großen Zielen und noch größeren Tagesleistungen an und müssen dann sehr schnell kleine Brötchen backen oder Verletzungspausen einlegen oder aber brechen eine geplante Durchwanderung nach einer Woche ab. Das trifft natürlich nicht auf alle zu, beispielsweise auch nicht auf Cole (Trailname "Flash"), den wir eines Abends treffen. Mit seinen 18 Jahren hat er bereits eine unglaubliche Reife, strahlt eine ruhige Selbstsicherheit aus, hat nebenher noch die fehlenden 300 km des "Long Trails" gemacht - mehr zum Long Trail hoffentlich nächstes Mal, den Standardkurs bei Tom Brown und will eigentlich am Shelter nur eine Essenspause machen, bleibt dann aber doch über Nacht und gibt morgens noch eine Stunde lang eine Vorführung, wie man mit einem Feuerbogen Feuer macht bzw. wie wenig man das Normalität annehmen sollte und dass es besonders mit dem Vorführeffekt auch mal nicht klappt (bestimmt kein Vorwurf - er hat es ja auf meine Bitte hin gezeigt).

Ach ja, wir sind bei sehr alten Freuden von mir, Peter und Penny Coldwell in Belmont, Vermont. Vor fast 15 Jahren haben ich hier mal in den Wäldern in einer Blockhütte gewohnt und ein bisschen bei Peters Friedensorganisation - www.vfp.org - geholfen. Kurz entschlossen haben die beiden uns gestern mit zwei Autos im 35km entfernten Rutland abgeholt und ermöglichen uns so einen richtigen Ruhetag - noch dazu im für das Wochenende ausgeflogenen Häuschen einer Tochter. Es ist schön, diese Reise in die Vergangenheit antreten zu können. Wie auch immer, bis zum nächsten Mal…….um nicht zu sagen "I'll be back", wie dieser österreichische Schauspieler, der vielleicht für die Republikaner Governeur von Kalifornien werden will…

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